Kontakt
Prof. Dr. Raingard Knauer
E-Mail: raingard.knauer (at) fh-kiel (dot) de
Rüdiger Hansen
E-Mail: r.hansen (at) partizipation-und-bildung (dot) de
Die Kinderstube der Demokratie ist ein umfassendes Konzept für Partizipation in Kindertageseinrichtungen. Das Konzept wurde über zehn Jahre in mehreren Modellprojekten in enger Zusammenarbeit mit zahlreichen Kitas entwickelt.
Die Kinderstube der Demokratie ermöglicht Kita-Teams, die (Mitentscheidungs)Rechte der Kinder zu klären, verlässliche Beteiligungsgremien einzuführen, methodisch angemessene Beteiligungsverfahren zu planen und durchzuführen und die Interaktionen zwischen allen Beteiligten respektvoll zu gestalten.
Die Kinderstube der Demokratie umfasst zudem ein Fortbildungskonzept, dass es ermöglicht, Kindertageseinrichtungen dabei zu begleiten, ihren individuellen Weg zu einer Kinderstube der Demokratie zu beschreiten. Das Institut für Partizipation und Bildung qualifiziert Multiplikatorinnen und Multiplikatoren dafür, dieses Konzept in Kita-Teams anzuwenden.
- Rüdiger Hansen; Raingard Knauer; Benedikt Sturzenhecker: Die Kinderstube der Demokratie. Partizipation von Kindern in Kindertageseinrichtungen, in: TPS – Theorie und Praxis der Sozialpädagogik, Ausgabe Nr. 2/2009, S. 46-50. Der Artikel vermittelt einen Überblick über das Konzept.
- Prof. Dr. Thomas Olk, Martin-Luther-Universität Halle/Wittenberg: Die Demokratie und ihre Kinder – Warum Kind und Gesellschaft Kinderstuben der Demokratie brauchen, Vortrag während der Abschlusstagung des zweiten Modellprojekts „Die Kinderstube der Demokratie“ am 21. Mai 2008 in Kiel. Der Vortrag arbeitet die Bedeutung des Konzepts vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Entwicklungen heraus.
Das Handbuch zum Konzept „Die Kinderstube der Demokratie“
Rüdiger Hansen, Raingard Knauer und Benedikt Sturzenhecker haben in ihrem Handbuch Partizipation in Kindertageseinrichtungen. So gelingt Demokratiebildung mit Kindern! (ISBN 978-3-86892-046-8) die Erfahrungen aus über zehn Jahren Entwicklungsarbeit systematisch aufgearbeitet. Das Buch umfasst 384 Seiten und kann hier im Verlag Das Netz bestellt werden.
- Inhaltsverzeichnis
- Rezension bei socialnet.de
- Rezension in Jugendhilfe aktuell Heft 1/2012, S. 61
- Rezension in SpielRäume Heft 50/2012, S. 47-48
- Rezension in TPS Heft 4/2012, S. 53
Der Film über „Die Kinderstube der Demokratie“
Die Filmemacher Lorenz Müller und Thomas Plöger haben vier Kindertageseinrichtungen zwei Jahre lang (2006-2008) auf ihrem Weg zu Kinderstuben der Demokratie begleitet. Ihr 30-minütiger Film führt lebendig vor Augen, wie Partizipation in Kindertageseinrichtungen gelingt.
Die DVD über Die Kinderstube der Demokratie (BRD 2008) von Lorenz Müller und Thomas Plöger können Sie beim Deutschen Kinderhilfswerk für 10,- Euro erwerben.
English version:
The Nursery of Democracy
Danish version:
Participation i børnehaver
Die Kinderstube der Demokratie – Das erste Modellprojekt
Kindertageseinrichtungen können „Kinderstuben der Demokratie“ sein – wenn es den pädagogischen Fachkräften gelingt, Partizipation im Alltag der Einrichtungen zu verankern und zu leben. Dass und wie dies gelingen kann, hat das erste schleswig-holsteinische Modellprojekt Die Kinderstube der Demokratie (2001-2003) gezeigt. Das Projekt hat deutlich gemacht, dass Partizipation von Kindern „in den Köpfen der Erwachsenen beginnt“. Nur wenn die pädagogischen Fachkräfte bereit und in der Lage sind, Entscheidungen mit den Kindern zu teilen und jedes einzelne Kind dabei unterstützen, seine Rechte wahrzunehmen, können sich Kindertageseinrichtungen als demokratische Bildungsorte entwickeln. In Kinderstuben der Demokratie erleben Kinder, welche Rechte sie in der Gemeinschaft Kindertageseinrichtung haben, wie sie diese mitgestalten und Verantwortung für die gemeinsame Sache übernehmen können.
Das Modellprojekt konnte zeigen, dass Partizipation in Kindertageseinrichtungen nicht nur demokratische Bildung ermöglicht sondern der Schlüssel für Bildungsförderung überhaupt ist. In den am Modellprojekt beteiligten Einrichtungen änderten sich durch die Beteiligung der Kinder die Rollen der pädagogischen Fachkräfte, gestaltete sich das Miteinander von Kindern und Erwachsenen demokratischer und intensivierten sich die (Selbst)Bildungsprozesse der Kinder. Das Modellprojekt erfuhr bundesweite Aufmerksamkeit. Die Ergebnisse sind in zahlreiche Bildungspläne der Länder eingeflossen, insbesondere in Bayern und Schleswig-Holstein.
- Die Dokumentation des Modellprojekts können Sie hier als PDF-Datei herunterladen. Die Printversion ist leider vergriffen und wird nicht neu aufgelegt.
Die Kinderstube der Demokratie – Das zweite Modellprojekt
In dem Transferprojekt Die Kinderstube der Demokratie 2 (2006-2008) hat das Institut für Partizipation und Bildung in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Kiel zwanzig Multiplikatorinnen und Multiplikatoren für Partizipation in Kindertageseinrichtungen qualifiziert, die nunmehr die Kindertageseinrichtungen im Land bei der Einführung, Weiterentwicklung und Reflexion von Partizipation begleiten können.
Die Qualifizierung war ein Projekt des Kinder- und Jugendaktionsplans Schleswig-Holstein und wurde gefördert aus Mitteln der Gemeinschaftsaktion Schleswig-Holstein – Land für Kinder.
Frequently Asked Questions (FAQ):
Was wir oft zum Konzept „Die Kinderstube der Demokratie” gefragt werden und wie wir antworten
- Auch als PDF-Datei zum Download
Was passiert, wenn die demokratiegewöhnten Kita-Kinder in die Grundschule kommen?
Damit haben wir schon erste Erfahrungen. Immer wieder fordern Kinder auch in der Schule Partizipationsrechte ein, wie sie sie aus Kindertageseinrichtungen kennen. Damit stoßen sie nicht immer auf Verständnis oder die Bereitschaft, auch in der Schule demokratische Entscheidungsstrukturen zu schaffen. Und doch profitieren die Kinder auch dort von ihren Partizipationserfahrungen in der Kita.
Dass in anderen pädagogischen Institutionen (und in anderen gesellschaftlichen Bereichen) keine oder kaum demokratische Verhältnisse herrschen, kann kein Grund sein, die Kinder bereits früh auf „Nicht-Demokratie“ vorzubereiten. Dagegen sprechen zwei Argumente: Zum einen würde das die prinzipielle demokratische Verfasstheit unserer Gesellschaft negieren und die Aufgabe verweigern, Demokratie auch als Lebensform in allen Feldern der Gesellschaft mehr und mehr zu realisieren. Zum anderen können Kinder ihre Partizipationserfahrungen aus der Kita auch dann nutzen, wenn nur wenig demokratische Handlungsspielräume in der Schule gewährt werden. Sie können ihre in der Kita erworbenen Kompetenzen auch in der Familie, in der Freizeit, in der Kommune, im Verein etc. anwenden. Bildungserfahrungen gehen in der Biographie nicht verloren und bilden eine Ressource, auf die Kinder später wieder zurückgreifen können.
Und selbstverständlich können Kinder unterschiedliche Institutionen und Settings und deren Machtverhältnisse unterscheiden und erkennen, welche Handlungsformen wo angemessen sind.
Im „wahren“ Leben gibt es doch viele Zwänge und wenig Demokratie; bereitet man denn die Kinder mit Ihrem Demokratiekonzept nicht auf das Falsche vor?
Auf diese Frage gibt es eine ganz einfache Antwort: Wer die Menschenrechte achtet, muss Kinder auf Demokratie vorbereiten! Die Alternative würde heißen: Wenn die Gesellschaft undemokratisch ist, müssen auch Kinder auf Durchsetzungsstärke und egoistischen Machterhalt vorbereitet werden. Das wäre eine Kapitulation vor den durchaus undemokratischen Aspekten der Gesellschaft und der Untergang der Anstrengungen, Demokratie auszuweiten.
Die Sozialpädagogik hat die Aufgabe, Entwicklung zu fördern (§ 1 SGB VIII), also die Kinder zu unterstützen, ihre Potentiale und Stärken zu entfalten und sich als selbstbestimmte und gemeinschaftsfähige Persönlichkeiten zu entwickeln. Sie bereitet nicht auf ein reines Funktionieren, Anpassen und Ertragen eines gesellschaftlichen Ist-Zustands vor.
Die Frage unterstellt eine Logik, nach der Pädagogik, weil das Leben nun mal mit dem Tod endet, auf diesen vorbereiten müsse, statt auf ein möglichst gelingendes Leben. Wie oben schon begründet, stärkt Demokratiebildung die Persönlichkeit und hilft den Kindern mit vielen widrigen Umständen umgehen zu können.
Außerdem zeigt sich, dass Demokratiebildung nicht irreale Ideale entstehen lässt, sondern sehr reale Handlungsfähigkeit: Die Kinder können Konflikte ertragen und gewaltfrei aushandeln. Sie können Probleme erkennen und gemeinsam angehen und lösen. Sie können ihre persönlichen Positionen vertreten und sich auch auf andere Menschen einstellen. Sie können zu ihren Interessen stehen und doch Kompromisse finden. Sie können sich artikulieren, sich einbringen und sich auf Neues einstellen. Sie können sich für das Gemeinwohl einsetzen und dabei auch eigene Interessen verfolgen. Sie entwickeln Selbstwirksamkeitsgefühle und soziale Kompetenzen. All das verhilft den Kindern zur Handlungsfähigkeit auch in Schule und anderen Lebensbereichen.
Außerdem gilt das sozialpädagogische Prinzip, dass Erziehung nicht nur auf die Zukunft vorbereiten muss (oder gar auf Probleme in der Zukunft), sondern auch – hier und heute – in den aktuellen pädagogischen Settings dem Kind „das Recht auf seinen Tag“ (Korczak) gewährleisten muss. Pädagogisches Handeln muss schon im Moment seiner Erbringung das angestrebte „Gute“ möglichst weitgehend realisieren. Die Handlungsprinzipien im „Jetzt“ müssen übereinstimmen mit dem erwünschten Ergebnis in Zukunft.
Was ist, wenn die Kinder etwas Gefährliches entscheiden, z.B. man rutscht die Rutsche nur noch kopfüber herunter oder es gibt nur noch Nutella zu essen?
Diese Frage macht deutlich, dass Partizipation auch mit der Frage zu tun hat, welches Bild vom Kind die Pädagogik leitet. Wird das Kind von Geburt an als Subjekt begriffen, das über viele Ressourcen verfügt, in seiner Welt kompetent zu handeln, – oder werden die Handlungsweisen des Kindes eher misstrauisch beäugt.
Das Konzept „Die Kinderstube der Demokratie“ vertritt nicht eine Idee von „Kinder an die Macht“ oder einer pädagogischen Nicht-Einmischung („laissez-faire“). Die Pflicht der pädagogischen Sorge, die Unversehrtheit der Kinder körperlich und seelisch zu schützen, bleibt in unserem Konzept völlig gewahrt.
Allerdings werden Entscheidungen, die das Leben der Kinder betreffen (und Rutschen und Essen tun das!) gemeinsam gefällt und nicht einfach von Erwachsenen diktiert. Die Fachkräfte bringen sich und ihre Argumente in die Debatten ein und können vor Gefahren warnen. Außerdem sind Kinder keine „Fressexzess- und Risikomonster“, im Gegenteil: In den Debatten bringen unterschiedliche Kinder verschiedene Argumente und Lösungsvarianten ein und meistens kommen sehr vernünftige und realistische Lösungen zustande.
Käme es tatsächlich zu Entscheidungen, die ernsthaft Kinder gefährden könnten, würden die Fachkräfte aus ihrer Verantwortung heraus ein Veto einlegen (müssen). Viel häufiger aber schreiten Erwachsene viel zu früh ein und nehmen Kindern so die Möglichkeit, sich als problemlösungsfähig zu erleben.
Schadet den Kindern das viele Verhandeln denn nicht? Ermüdet die Kinder das viele Verhandeln und Entscheiden nicht? Haben sie überhaupt Lust dazu?
Pädagogische Fachkräfte berichten eher davon, dass die Kinder sich durch die Entscheidungsrechte hoch anerkannt fühlen und sich sehr engagiert in die Entscheidungsprozesse einbringen. Das liegt daran, dass sie konkret erkennen können, dass es um ihren Alltag, ihre Interessen und ihre Themen geht. Außerdem ist „Verhandeln“ den Kindern gar nicht fremd, sondern eine wichtige Praxis ihrer Selbstbildung. So zeigen Forschungsergebnisse, dass kindliches Spiel sich über die Hälfte der verbrachten Zeit der Diskussion von Spielregeln widmet und nur den Rest der Zeit der Ausführung des Spiels.
Es ist allerdings notwendig, dass die Fachkräfte die Partizipation der Kinder pädagogisch vorbereiten und begleiten. Partizipation ist auch eine methodische Herausforderung. Die Fachkräfte klären, um welche Entscheidungen es geht, was die Kinder brauchen, um entscheidungsfähig sein zu können, und wann die Diskussions- und Entscheidungsfähigkeit der Kinder nachlässt und Pausen und Unterbrechungen nötig sind. So zeigt sich, dass etwa Kinderratssitzungen maximal etwa eine halbe Stunde dauern können. Noch nicht bearbeitete Themen werden dann einfach vertagt.
Insofern besetzen die demokratischen Debatten und Entscheidungen nicht den Großteil des Tages, sondern nur einen kleinen Teil und der Rest ist weiter offen für all die anderen Tätigkeiten und Themen, die die Kinder tun wollen und können. Natürlich ist es nicht auszuschließen, dass einzelne Kinder einzelne Phasen anstrengend oder langweilig finden. Das gilt jedoch für viele Aneignungsprozesse und Kinder scheuen Anstrengung nicht. Letztlich garantiert das Prinzip der Freiwilligkeit, dass Kinder nicht zu Partizipation gezwungen werden. Das Recht auf Beteiligung beinhaltet auch das Recht darauf, sich nicht zu beteiligen.
Muss man denn nicht als Erwachsene Regeln und Grenzen vorgeben (und damit auch Orientierung schaffen)?
Selbstverständlich sind die Erwachsenen für die Gestaltung der pädagogischen Settings verantwortlich. Sie können sich ihrer Verantwortung für die Kinder – auch ihrer Aufgabe Bildung und Erziehung zu gestalten – nicht entziehen. Das Konzept „Die Kinderstube der Demokratie“ schafft Orientierung in besonderer Weise, indem hier Regeln und Strukturen für alle transparent geklärt sind. So werden in einer Kita-Verfassung Kinderrechte und Beteiligungsgremien festgeschrieben. Damit haben die Kinder eine Orientierung darüber, welche Rechte sie haben und wie Entscheidungen zustande kommen. Erwachsene unterstützen sie dabei, ihre Rechte auch wahrzunehmen (zur Not auch durch Schutz und das Einlegen eines Vetos). Gerade diese Transparenz unterstützt die Kinder darin, sich solche Strukturen schnell anzueignen und in ihnen kompetent handeln zu können. Die Kinder begreifen schnell, wie man Probleme demokratisch löst und sich immer neu Orientierung schafft. Demokratie ist verbindlich und verbindend.
Diese Orientierung ist dann aber, statt von Erwachsenen einseitig vorgegeben zu sein, gemeinsam entschieden. So sind diese mitentschiedenen Regeln und Grenzen für die Kinder nachvollziehbar, angemessen und legitimiert. Sie sind damit häufig sogar verbindlicher als allein von Fachkräften vorgegebene Entscheidungen, denn Demokratie bedeutet auch immer, sich den, nach festen Regeln gefundenen, gemeinsamen Entscheidungen auch unterzuordnen und sie als verpflichtend zu respektieren. Letztlich kann man behaupten, dass „Die Kinderstube der Demokratie“ klarere und verbindlichere Orientierungen schafft, als ein einseitig von Erwachsenen vorbestimmter Alltag.
Kommt es nicht schnell zur Unterdrückung von Minderheiten?
Die Kinder lernen verschiedene Entscheidungsvarianten kennen: vom Konsens bis zur (anonymen) „Kampfabstimmung“. Sie freuen sich, wenn Ihr Vorschlag angenommen wird und sie zur siegenden Mehrheit gehören. Sie sind aber sehr sensibel für die Gefühle von unterlegenen Minderheiten. Immer wieder hören wir von Fachkräften, dass Kinder Mehrheitsentscheidungen noch einmal hinterfragen, wenn sie merken, dass einzelne Kinder darüber „traurig“ sind. Häufig befragen sie diese Kinder dann noch einmal genau nach deren Position, und die Minderheiten fühlen sich und ihre abweichende Meinung respektiert und akzeptieren dann nachträglich die Mehrheitsentscheidung, oder Mehrheitsentscheidungen werden gemeinsam revidiert und es wird neu und anders entschieden, um die Minderheit zu integrieren.
Käme es zu einer tatsächlichen und regelmäßigen „Unterdrückung“ immer derselben Kinder, wäre dieses durch das schützende Intervenieren der Erwachsenen zu unterbinden. Allerdings wiese das Phänomen einer wiederkehrenden Minderheit darauf hin, dass diese gleichzeitig – auch methodisch – unterstützt werden müsste, ihre Positionen deutlicher einzubringen und Gehör zu finden. Ausgrenzug bestimmter Gruppen würde auf einen Strukturfehler der demokratischen Verfahren hinweisen, der behoben werden müsste.
Setzen sich nicht manche Kinder immer durch? Fällen Kinder nicht Entscheidungen, weil ihre Freundin etwas Bestimmtes will oder weil sie sich einfach nach der Erzieherin richten?
Diese Phänomene gibt es genau wie in der „erwachsenen Demokratie“ auch bei den Kindern. Es gibt auch unter Kindern „politische Talente“, die andere gut überzeugen können, und es gibt Kinder, die ihre Stimmabgabe an den Entscheidungen anderer orientieren. Wir halten das nicht für bedenklich, solange Abstimmungsentscheidungen nicht manipuliert, erkauft oder erpresst werden. Das Recht und die methodische Chance (etwa durch geheime Abstimmung) auf die Wahrnehmung der individuellen Entscheidung müssen gewährleistet sein – wie in jeder Demokratie.
Wenn Kinder sich bei Entscheidungen sichtbar unsicher verhalten und sich deshalb an denen orientieren, die sich ihrer Sache sicher scheinen, deutet das häufig auch darauf hin, dass der Meinungsbildungsprozess vor der Entscheidung von den Erwachsenen nicht angemessen gestaltet wurde.
Viele Rahmenbedingungen, die in Entscheidungen einbezogen werden müssen, erkennen die Kinder doch gar nicht. Den Kindern fehlen doch die erwachsene Erfahrung und der Überblick. Sind sie überhaupt fähig, realistische Entscheidungen zu treffen?
Bei Partizipation geht es um Entscheidungen, die das Leben der Kinder in der Kindertageseinrichtung konkret im Alltag betreffen. Als Betroffene haben sie eine große Expertise zu ihren Angelegenheiten und kommen oft zu überzeugenden Lösungen und Entscheidungen, die den Fachkräften/Erwachsenen so nicht eingefallen wären.
Außerdem geht es in der Demokratie immer darum, dass den Entscheidern auch komplexe Zusammenhänge verständlich gemacht werden müssen, ohne Komplexität verfälschend zu reduzieren. Das erlebten wir zuletzt mit Heiner Geißler als Schlichter im Konflikt um Stuttgart 21. Immer wieder forderte er von den Experten, verständlich zu sprechen. Einerseits ist also der „Horizont“ der Problemstellungen, an denen Kinder sich in der Einrichtung beteiligen, auf ihre Alltagserfahrungen beschränkt, andererseits ist es auch die pädagogische Aufgabe, komplexe Zusammenhänge für die Kinder nachvollziehbar zu machen.
Sind die Kinder nicht frustriert, wenn sie in der Partizipation geäußerte Wünsche nicht erfüllt bekommen?
„Die Kinderstube der Demokratie“ fördert keine „Wunschzettel-Partizipation“, in der die Kinder „nur“ wünschen und die Erwachsenen für die Umsetzung zuständig sind. Diese Struktur frustriert beide Seiten und hat mit demokratischer Interessensartikulation und gemeinsamer Verantwortung für die (u.U. begrenzte) Realisierung von Interessen nichts zu tun. In demokratischer Partizipation sind die Kinder berechtigte und an jedem Entscheidungs- und Umsetzungsschritt beteiligte Subjekte; das heißt, im Prozess wird ihnen deutlich, was geht und was nicht. Sie erkennen Grenzen des Machbaren und finden für sich und die Einrichtung machbare Lösungen. Frustration bleibt so sehr begrenzt, weil die Kinder alle Gründe für Beschränkungen kennen bzw. selbst entsprechende Entscheidungen gefällt haben. Man könnte sagen, dass die demokratischen Verfahren eher Frustration vermeiden, als die paternalistische Phantasie, Erwachsene sollten die Wünsche von Kindern umsetzen.
Ist es nicht problematisch, wenn die Kinder nun auch zu Hause Mitentscheidung einfordern? Was halten denn die Eltern davon?
Die Eltern müssen in den Prozess der „Demokratisierung“ der Kindertageseinrichtung einbezogen werden. Es wäre undemokratisch, ihnen sozialpädagogisch noch so gut begründbare Demokratiekonzepte aufzuzwingen. Genau wie bei den Fachkräften löst die Herausforderung, Kindern demokratische Mitentscheidungsrechte zuzugestehen, eine Klärung und Entwicklung eigener Vorstellungen von Erziehung und erzieherischen Beziehungen aus. Den Eltern ist wichtig, dass die erzieherische Sorgeverantwortung gewährleistet bleibt – und das geschieht ja auch. Wie viele Fachkräfte meinen sie zunächst, dass demokratische Beteiligung ihrer Kinder an familiären Entscheidungen ihren Alltag erschweren würden; sie lernen aber wie die Fachkräfte oftmals schnell, dass das Gegenteil der Fall ist: Die Beteiligung der Kinder macht Entscheidungen „besser“, weil auch für die Kinder angemessener, und die Kinder sind motiviert, gemeinsam getroffene Entscheidungen auch gemeinsam aktiv umzusetzen. Der sonst oft vorprogrammierte Streit, die machtvolle Durchsetzung der Eltern gegen die Kinder und zur Not Zwang werden seltener. Eltern verstehen, dass das trotzdem die Möglichkeit des elterlichen Vetos nicht nimmt.
Eine weitere oft geäußerte Sorge der Eltern besteht darin, dass die angeblich so zeitaufwendigen Demokratieprozesse eine Vorbereitung der Kinder auf die Schule be- oder verhindern würden. Wie bereits oben erklärt sind die Diskussions- und Entscheidungsphasen aber keineswegs zeitlich dominant, sondern es bleibt viel Zeit für andere Aktivitäten. Und die Eltern können zunehmend erkennen, dass die Demokratiebildung auch eine demokratische Bildung eröffnet: die Kinder lernen nicht nur Entscheiden, sondern eignen sich viele personale und soziale Kompetenzen an. Und sie eigenen sich viele, teils komplexe Sachkompetenzen an, weil sie an der Lösung von „echten“ Problemen beteiligt werden.
Darf ich denn jetzt als Mutter/Vater nicht mehr entscheiden, was für das Kind gut ist?
Erziehung ist immer ein zweiseitiges Verhältnis: Kind und Eltern(teil) müssen sie gemeinsam herstellen. Ohne die Beteiligung der Kinder ist Erziehung letztlich nicht zu machen (außer man wäre mit Gewalt als letztem Durchsetzungsmittel einverstanden – diese ist allerding in Deutschland gesetzlich verboten). Den Eltern obliegt durchaus die Verantwortung der Fürsorge, sie müssen das Kind schützen, ernähren, seine Entwicklung anregen und fördern. Sie müssen sich dazu ein Bild darüber machen, was „gut“ für das Kind wäre. Das gemeinte „Gute“ kann aber nicht ohne weiteres dem Kind vermittelt oder ihm aufgedrückt werden, sondern muss in einer gemeinsamen Verständigung „geklärt werden“ (ob nun nonverbal, oder – etwa in der Verselbstständigungsphasen des Kindes – in u.U. anstrengenden sprachlichen Debatten). Wenn das Kind sich mit dem „Gut-Gemeinten“ nicht einverstanden zeigt, hilft die einseitige Entscheidung der Eltern/Erwachsenen nicht weiter. Irgendwie muss dann doch „ausgestritten bzw. ausgehandelt“ werden, was zusammen gehen kann (außer man versucht den Willen des Kindes mit Gewalt zu brechen).
Insofern hat Erziehung in der Angewiesenheit auf ihre gemeinsame Herstellung (ihre Ko-Produktion) schon demokratische Potenziale: Man muss für beide/alle Beteiligten gangbare Lösungen finden bzw. aushandeln. Und einfach zu entscheiden, was für das Kind gut ist, ohne die wie auch immer gewährte Zustimmung des Kindes dazu, ging also ohnehin noch nie (außer als Manipulation, Zwang und Gewalt).
Auch lässt sich Erwachsenen die Frage stellen, woher sie denn meinen, so sicher wissen zu können, was für das Kind gut ist. Meistens wissen beide Seiten nicht so genau, was ein Kind braucht, sondern, anstatt dass eine Seite das „Gute“ kennt und bestimmt, wird gemeinsam ausgehandelt, was geht; also was für Kind und Erwachsene unter den jeweils gegebenen Rahmenbedingungen machbar und vorläufig ausreichend ist.
Das Konzept klappt ja vielleicht in bildungsstarken Kindertageseinrichtungen, aber funktioniert es auch bei Kindern, die in benachteiligten Familien leben?
Die Unterstellung, Kinder kämen schon „benachteiligt“ in die Kindertageseinrichtung belegt ihre Familien/Eltern mit einem ungerechtfertigten Verdacht und schreibt den Kindern allein auf Grund ihrer sozialen Lage Defizite zu. Sozialpädagogik versucht, solche Stigmatisierungen zu unterlassen und stattdessen alle Kinder zu unterstützen, sich selbstbildend zu entfalten, ihre individuellen Ressourcen zu nutzen und viel Neues zu lernen. Immer gibt es dabei individuelle Unterschiede in den Aneignungsweisen und für die Individuen „spannende“ Aneignungsthemen. Statt ganzen Gruppierungen von vornherein Probleme zuzuschreiben, geht es darum, die individuellen Selbstbildungsprozesse, so gut es geht, zu entwickeln und zu qualifizieren.
Die Erfahrungen aus den Modellprojekten zeigen, das auch und gerade die Kinder aus sogenannten benachteiligten Bildungsmilieus von ihrer Beteiligung besonders profitieren. Partizipation ermöglicht ihnen nämlich, sich die Welt auf ihre eigene Art und Weise aneignen zu können und sich nicht einem „Standardbildungsprozess“ unterwerfen zu müssen. Partizipation ermöglicht jedem Kind seinen Bildungsprozess in seiner Zeit und auf seine Art und Weise. Das ist insbesondere auch für Kinder mit Migrationshintergrund, die noch über wenig (deutsche) Sprachkompetenzen verfügen, wichtig. Eine Praxis demokratischer Partizipation ist sehr entwicklungsförderlich, weil man personale, soziale und sachliche Fähigkeiten benötigt, um sich in ihr handelnd einbringen zu können. Demokratiepraxis schafft also praktische Herausforderungen des Aneignens von neuen Kompetenzen (übrigens in jedem Alter).
Auch verlangt Demokratie keine Vorrausetzungen für ihre Praxis: Alle Mitglieder sind berechtigt sich einzubringen (egal welchen „Bildungsstand“ sie mitbringen) und sich damit demokratischer Selbstbildung mit anderen auszusetzen. Der Status der Herkunft wird in einer demokratisch orientierten Kita irrelevant, weil alle gleichermaßen individuell und in den sich ergebenden Gruppen gefördert werden, sich in ihrer Unterschiedlichkeit und Besonderheit in die gemeinsamen Entscheidungsprozesse einzubringen (und damit auch sich weiteren Lernprozessen zu stellen). Falls sich also benachteiligte Lebenslagen tatsächlich negativ auf die Entwicklungsfähigkeit der Kinder ausgewirkt haben sollten, wäre Demokratiebildung für diese Kinder sogar als eine besondere Förderung zu verstehen, die ohne eine Defizitunterstellung auskommt.
Oft haben Eltern mit Migrationshintergrund gar kein Demokratieverständnis. Kommt es da nicht zu Konflikten?
Der mögliche „Migrationshintergrund“ von Eltern ist immer sehr differenziert und berechtigt schon lange nicht zu einer pauschalen Unterstellung einer nicht- bzw. gar antidemokratischen Haltung der Eltern. Die Praxis in den Kindertageseinrichtungen zeigt deutlich, dass alle Eltern zunächst von ihrer Elternrolle „geprägt“ sind: Sie wollen das Beste für ihr/e Kind/er, und sorgen sich um Wohlergehen, Förderungschancen, Entwicklungsfortschritt etc. ihrer Kinder. Daraus leiten manche Eltern gelegentlich auch ab, dass sie allein „zu sagen haben“ müssten. Demokratische Partizipation fordert Eltern also zunächst vor allem heraus, ihre Erziehungsvorstellungen zu reflektieren und mobilisiert ihre Fürsorgeverantwortung. Die Mütter und Väter prüfen den Demokratieanspruch zunächst nicht als Wertorientierung oder politisches Verfahren, sondern sind häufig fixiert auf die konkreten Folgen für die Förderung und Entwicklung ihrer Kinder. Ihre erzieherischen Positionen können denen demokratischer Bildung in Teilen oder sogar weitgehend entgegenstehen; und daraus folgt oft eine Debatte untereinander und mit den Fachkräften über Erziehungskonzepte. Dieses kann auch konfliktreich geschehen und es kann durchaus auch zu längeren Auseinandersetzungen zwischen Eltern und Fachkräften und u.U. sogar zu Unvereinbarkeiten kommen. Das ist aber nicht nur typisch für das Thema Partizipation. Auch in anderen Erziehungsfragen haben Fachkräfte und Mütter und Väter manchmal unterschiedliche Positionen. Da gilt es sich – auch im Interesse des Kindes – miteinander auseinanderzusetzen.
Konzepte demokratischer Bildung und Erziehung müssen sich rechtfertigen und ihr Vorgehen gut begründen können. Sie müssen sich Hinterfragung und Kritik stellen – Streit ist typisch für Demokraten! Für alle Eltern (ob mit oder ohne Migrationshintergrund) und für die Fachkräfte entsteht so ein eigener Bildungsprozess zur Frage, was Demokratie und Erziehung sein sollen und wie sie zusammengehören. In den über 10 Jahren Praxis mit dem Konzept „Die Kinderstube der Demokratie“ ist es nur in wenigen Einzelfällen passiert, dass sich Eltern und Fachkräfte nicht verständigen konnten.
Warum soll man denn die Kinder schon mit den ganzen Entscheidungen belasten? Haben die nicht eher ein Recht auf sorgenfreies Spiel?
Man könnte die These wagen, dass „Spielen“ die Arbeit der Kinder ist; sie betreiben es ernst und mit großer Ausdauer. Durch „Spiel“ eignen sich die Kinder die Welt an; insofern ist Spiel kein „welt- bzw. ernstfreier Spaß“, sondern Arbeit an der Wirklichkeit. Das gilt auch, wenn Kinder ihre Aneignungshandlungen als „Spiel“ markieren, um den Übungscharakter ihrer Handlungen zu betonen, um so Gelegenheit zu erhalten, Handeln erproben zu können, ohne sofort in Gänze dafür verantwortlich gemacht zu werden. Fehler, Korrektur, Rückzug, Neuanfang sind im Spiel erlaubt, machen es aber nicht zur „Spielerei“. Insofern könnte auch Partizipation als „Demokratiespiel“ bezeichnet werden, denn obwohl es um ernste Entscheidungen und Verantwortung für Entscheidungsfolgen geht, lassen sich diese doch revidieren: Getroffene Entscheidungen können reflektiert und gemeinsam geändert werden. Demokratie ist ein lernendes System und hält so auch Lernchancen für alle ernsten „MitspielerInnen“ bereit.
Spielen und Demokratiepraxis können anstrengen und es können Erholung, Muße und Abstand nötig werden. Es ist Aufgabe der Fachkräfte hier mögliche Überlastungen zu erkennen und Ausgleich anzubieten. Kinder aber suchen regelrecht nach Chancen, sich an echten Probleme und realen Alltagshandlungen zu bilden. So bringen sie sich mit großem Engagement in Demokratieprozesse ein, weil sie nicht „kindische Spielerei“ brauchen, sondern Aneignung und Mitgestalten. Demokratische Praxis in der Kita bedeutet nicht, alle Entscheidungen die in der Kita anstehen, jederzeit den Kindern aufzubürden: Es geht darum, ihnen die Möglichkeit und das Recht zu geben, sich an Entscheidungen, die ihr Leben betreffen, und an Entscheidungen zu aktuell anstehenden oder problematisierten Fragen zu beteiligen und nicht um die Pflicht, sich andauernd und mit allen irgendwie möglichen Fragen beschäftigen zu müssen. Wenn wohlmeinende Machthaber den Kindern Entscheidungen über relevante Probleme in ihrem Alltag abnehmen, nehmen sie ihnen Recht und Chance auf Selbst- und Mitbestimmung. Sie machen die Kinder zu Objekten fremder Entscheidungen, die nicht über ihr Leben mitverfügen können.
Muss man Kinder nicht manchmal zu ihrem Glück zwingen?
Die Annahme der Möglichkeit eines „Zwangs zum Glück“ würde praktisch voraussetzen, dass (a) der Zwingende wüsste, was einem anderem (dem Kind) Glück eröffnet und wie letzteres mit Sicherheit zu erreichen sei, und dass (b) auch Zwangsmittel zur Verfügung stünden. Und moralisch würde es voraussetzen, dass man die Würde und Mündigkeit der Selbstbestimmung von Kindern missachten dürfe und Zwang gegenüber anderen (hier Kindern) erlaubt sei – wenn denn nur der Zweck gut sei. Jeder Erwachsene würde ein Behandelt-werden unter diesen Vorrausetzungen aufs Schärfste zurückweisen, bzw. abwehren.
Nein, man darf Kinder nie zu Partizipation zwingen. Das Recht auf Partizipation beinhaltet auch das Recht darauf, sich nicht zu beteiligen. Man kann ihnen eindringliche Vorschläge machen, und sich in die Aushandlung ihres Weges zum Glück massiv einmischen, aber zwingen darf und kann man sie nicht. Man kann sie auch mit Zwängen konfrontieren, die sich im Alltag vielfältig ergeben (etwa müssen die Eltern zur Arbeit, auch wenn das Kind dieses in einem Moment gar nicht will; die ErzieherInnen haben Feierabend, auch wenn das Kind gerade so schön spielt). Solche Zwänge muss man erklären und begründen, auch eigene Interessen vertreten, den Widerspruch und u.U. Widerstand des Kindes dagegen ernst nehmen und auch gemeinsam nach Lösungsalternativen bzw. für beide machbare Bewältigungsmöglichkeiten für den Umgang mit Zwängen suchen. Nur zu seinem Glück zwingen darf und kann man den/die Andere nicht, nicht einmal Kinder.